Seit ein paar Jahren kommen wir auf Social Media um ein großes, tolles Wort nicht mehr drum rum. Nein, ich spreche nicht von Bubblebutts und auch nicht von krampfhaftem Feminismus – ich meine „Selfcare“. Für die meisten von uns positiv konnotiert und schon lange ein Teil unseres Lifestyles. Ich nehme mich da nicht aus, auch ich pflege mich selbst – innen und außen. Aber so schwammig und konturlos, wie der Begriff selbst, genauso undefiniert ist auch seine Auslegung. Ja richtig, Selfcare ist für jede:n etwas anderes. Jede:r hat unterschiedliche Bedürfnisse und eine andere Lebenssituation. Trotzdem gehen mir manche Selfcare-Tipps gewaltig auf den Sack – oder besser, auf den Keks, den ich mir dank Selfcare ab und zu gönne?

Die Definition von Selfcare

Um wenigsten irgendeine empirische Basis für meinen Unmut zu haben, lasst uns erst einmal klarstellen, was „Selfcare“ überhaupt bedeutet. Moment, ich frage Google…

Was versteht man unter Self Care?

Im eigentlichen Sinne bedeutet Selfcare („Selbstfürsorge“) aber vor allem, das eigene Wohlbefinden neben all den täglichen Verpflichtungen und Verlockungen wichtig zu nehmen. Will sagen: Hör auf dein Bauchgefühl und nimm dir Zeit für Dinge, die dir wirklich guttun.

Quelle: Google

Okay, lieben wir. Damit kann ich arbeiten. Selfcare ist also die Selbstfürsorge. Und damit kommen wir schon zum ersten groben Übersetzungsfehler, den ich beobachte.

Selbstliebe ist kein Lifestyle

Selfcare bedeutet nicht „Selbstliebe“. Sich selbst zu lieben und zu akzeptieren, mit allen Talenten und allen Fehlern, sowohl körperlich als auch geistig – das ist etwas ganz anderes. Selbstliebe kann man nicht mit irgendwelchen Ritualen und Verhaltensmustern betreiben. Vielmehr halte ich die Liebe zu sich selbst für etwas, das in und allen angelegt ist, aber bei vielen weniger stark oder gar nicht ausgeprägt wurde. Die Faktoren aufzuzählen, die diese Ausprägung beeinflussen, würde diesen Blogeintrag sprengen, aber ihr dürft mich gern ein anderes Mal daran erinnern.

Selbstliebe ist ein Aspekt unserer psychischen Gesundheit. Es ist zwar auch ein Gut, welches wir wahren und pflegen sollten, aber ich fürchte: Wem es an Selbstliebe, Selbstachtung oder gar Selbsterhaltung fehlt, dem hilft weder auszuschlafen, noch eine Pedicure, sondern vielleicht eher eine Therapie. Und das sage ich weder urteilend noch sarkastisch. Jemand, mit zu wenig Lungenvolumen oder ohne Gehör, geht doch auch zum Arzt und lässt sich helfen. Leidest du an fehlender Selbstliebe, darfst du ruhig das Gleiche tun.

Wer schön sein will, kann sich besser leiden?

Die zweite Übersetzung ist zwar nicht ganz so falsch, befasst sich aber eher mit der Oberfläche oder eben maximal der Epidermis. Wortwörtlich wäre Selfcare nämlich die „Selbstpflege“. Pflege, das bedeutet für uns Deutsche entweder Zupfen, Eincremen, Massieren, Bemalen und Bezahlen oder – Oma und Opa abschieben an Menschen, die viel zu wenig Geld verdienen. Letzteres zu thematisieren überlasse ich Anderen.

„Dinge, die uns guttun“ und „das eigene Wohlbefinden“ – damit ist durchaus auch unsere äußere Hülle gemeint. Denn unser Körper ist nun mal das warme Häuschen, in dem wir leben. Der fantastische Fleisch-Knochen-Klumpen, der unseren ganzen Seelenkram und durchs Leben bewegt. Die Industrie reibt sich bei dieser Übersetzung natürlich die manikürten, eingecremten Hände. Endlich kann man den Menschen Körperpflegeprodukte nicht nur verkaufen, indem man ihnen erklärt: Niemand liebt dich, wenn du nicht rasiert, gutriechend und feinporig bist! Dank Selfcare-Hype denken wir tatsächlich, wenn wir uns heiße Zuckerpaste in die Pofalte schmieren lassen, dann tun wir das nur für uns selbst. …Really?

Was ich damit sagen möchte: Deinen Körper zu pflegen, kann ein Teil von Selfcare sein. Aber weder den Hygiene-Standard der westlichen Gesellschaft, in der du vermutlich lebst wenn du diesen Blog liest, zu bedienen (damit meine ich deine Fußnägel zu schneiden und deine Haare zu waschen), noch dich Beauty-Behandlungen zu unterziehen, die keinen merklichen Effekt auf dein persönliches körperliches Wohlbefinden haben, ist Selfcare.

Beispiel 1: Du gehst alle drei Monate zur Thai-Massage, weil du in deinem Job viel sitzt oder stehst. Das tut dir gut, du fühlst dich danach deutlich besser, niemand hat was davon außer dir und Mymy, die 45 Euro verdient – Selfcare!

Beispiel 2: Kitteh geht zwei Stunden zum Nägel machen, weil Sie es einfach geil findet glitzernde Krallen zu haben, für die andere Menschen einen Behindertenausweis brauchen würden. Keine Selfcare, das ist Protzerei.

Die Selfcare-Falle

Die klugen Köpfe, Hobbypsychologen und Verhaltens-Esoteriker unter uns haben aber längst verstanden, dass Selfcare nicht durch lange Schaumbäder und Duftkerzen, sondern durch unser Verhalten entsteht. Unser Wohlbefinden, dass wir achten und fördern wollen, steht und fällt mit den Entscheidungen, die wir jeden Tag treffen. Dazu gehören Entscheidungen, die uns das Leben bequemer, aber auch unbequemer machen. Hier entsteht eine Falle: Denn Selfcare wird falsch assoziiert mit dem Ausbleiben von Anstrengung oder besser: Mit Bequemlichkeit.

Ich verrate euch jetzt aber etwas – Wohlbefinden kam noch nie ganz ohne Anstrengung. Sorry Leute, Jeff Bezos chillt nicht so entspannt auf seiner Yacht, weil ihm immer alles am Arsch vorbei ging, was mit der Erbringung von Leistung zu tun hatte.  Wer denkt, die größtmögliche innere Balance zu erreichen, indem er/sie ständig nur tut, was am leichtesten ist und sich am besten anfühlt, begibt sich auf eine nie endende Reise.

Selfcare bedeutet nicht, die Beherrschung über sich selbst aufzugeben und im Fluss des Lebens auf einer Luftmatratze aus Hedonismus vor jeglichen Verpflichtungen davon zutreiben. Es geht nicht darum Kontrolle abzugeben, sondern vielmehr darum bewusst Kontrolle zu übernehmen. Es geht darum, Entscheidungen für unser Wohlbefinden zu treffen. Natürlich gehört loslassen dazu. Aber bei all dem therapeutischen Loslassen, dass wir so in unserer Freizeit betreiben, wo bleibt das Festhalten?

Du kannst noch so motiviert und positiv sein, ohne ein bisschen Disziplin wirst du dein Wohlbefinden nicht erreichen. Es gehören als auch so ekelhafte Begriffe, wie Durchhaltevermögen, Ehrgeiz und Selbstreflexion zur Selbstfürsorge. Ich konnte hier viel von den Bodybuildern lernen:

Discipline will take you places that motivation can’t.

Selfmade Selfcare

Bevor ich jetzt aber endlich aufhöre euch aufzuzeigen, was ihr alles falsch macht und erkläre, wie die Scheiße denn jetzt funktioniert, möchte ich noch eines loswerden: Erstens, ich bin nicht das unfehlbare Staatsoberhaupt von Sei-gut-zu-dir. Wenn ich alles so richtig machen würde, dann wüsste ich bestimmt nicht, was man alles so fantastisch falsch machen kann.

Zweitens: Selfcare, das sagt schon der Name, muss von selbst kommen. Man kann sich inspirieren lassen und auch selbst Denkanstöße geben, aber Selbstfürsorge ist vergleichbar individuell und persönlich wie Masturbation. Du kannst nicht zu Thorsten sagen: „Hey, du solltest dir wirklich öfter einen schleudern, bei Pornhub hab ich was gesehen, das könnte dir echt helfen!“ Genauso wenig kannst du Marie sagen: „Du musst echt auch mal öfter ein Buch lesen, oder etwas machen, was dir Spaß macht. Sag einfach öfter mal nein!“ Niemand kann von dir motiviert werden, sich selbst bewusster und besser zu behandeln. Es ist auch nicht deine Aufgabe. Investiere die Zeit lieber darin, deine eigene Seele zu pflegen. Selfcare eben!

Wie funktioniert das denn jetzt genau?

Wir haben Glück. Viele kluge Menschen, die deutlich mehr Forschung und Recherche betrieben haben als ich, haben sich zum Thema Selfcare schon Gedanken gemacht. Ihr müsst euch also nicht auf meine Laien-Expertise verlassen. Weil Psycho-Akademiker ihre Tipps oft aber undeutlicher formulieren, als ich meine Adresse im Taxi nach 2 Litern Belvedere, werde ich für euch übersetzen.

…nächste Woche!

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