Wir lieben oder hassen sie – deutsche Filme rund um Till Schweiger, Jürgen Vogel, Hasen ohne Ohren und Frauen ohne restauriertes Hollywoodgesicht. Unsere populärsten Heimatfilme glänzen meistens durch ihre außerordentliche Glanzlosigkeit. Charmant durch eine inszenierte Nahbarkeit thematisieren sie am liebsten Liebe, Familie und verschiedenste Gesellschaftskritiken. Auf diesen verlässlichen Zug springt auch Karoline Herford als Regisseurin von „Wunderschön“ auf. Diesmal geht es aber nicht darum den Waldorf-Kindergarten zu retten oder der grantigen Oma nach der Krebsdiagnose nochmal die Nordsee zu zeigen, sondern um Schönheitsideale. Und den mit ihnen verbundenen Leidensdruck. Beim Ausblick auf 130 Minuten Popcornfressen und Rummosern haben sich Lynn und Kitteh nicht zwei Mal bitten lassen und „Wunderschön“ – standesgemäß in Jogginghosen – für euch abgecheckt. Achtung: Unsere Kritik spoilert ordentlich . Wer sich also überraschen lassen will, sollte nur flüchtig lesen.

Das sind alles wunderschöne….Frauen.

Nicht nur hinter, sondern auch vor der Kamera verausgabt sich Karoline Herford. Nämlich als sehr authentisch überforderte Zweifachmutti. Zwischen Milchpumpen und Beckenbodentraining ist ihre liebste Beschäftigung: Problemzonen an ihrem After-Baby-Body entdecken.
Auch bei Julie, dem minderjährig anmutenden Model, geht es nur um den perfekten Körper. Und natürlich um Koks und Party – Modelleben eben (Kitteh verdreh an dieser Stelle etwas genervt die Augen). Frauke steht für die Generation jenseits der Wechseljahre. Auch sie führt ihre vor Desinteresse triefende Ehe auf ihre alternde Hülle zurück. Was fehlt noch? Richtig, eine Dicke. Damit sich die Frauen, die ihre Pfunde nicht mit niedlichen Babys rechtfertigen können, sich wiederfinden. Leyla ist der Urstereotyp der „schüchternen Dicken“ in der Klasse, samt zickiger Modelmama und nicht existentem Vater. Die einzige Protagonistin, die kein Problem mit ihrem Aussehen, dafür aber mit Bindungsunfähigkeit hat, wie immer: Nora Tschirner alias Vicky. Kleiner Spoiler: Till Schweiger rettet sie diesmal nicht.

Kitteh: Das erste was mir sofort auffiel: Das sind alles Frauen. Damit hatte ich zwar gerechnet, aber im Nachhinein wäre ich doch gerne positiv überrascht worden. Denn eine gestörte Selbstwahrnehmung und den Druck einen perfekten Körper zu haben, betrifft ganz sicher nicht nur Frauen. Männer werden genauso den Medien ausgesetzt, die voll sind mit GQ-Models, Sixpacks, vollen Bärten, breiten Schultern und dem Davidoff-Sterotyp. Glaubt mir, ich weiß wovon ich rede, mein bester Freund ist Bodybuilder. Die haben sogar einen Sport daraus gemacht, wer denn jetzt durch seine gnadenlose Disziplin und seine glücklichen Gene perfekter aussieht als der Andere. Wo bleibt bei einem Film über die Tücken des „Schön seins“ also Malte, der 60-Kilo Durchschnittsdeutsche, der heimlich seine ersten Steroide kauft und im Barbershop von Ali abfällig behandelt wird?

Lynn: Absolut. Das mit den Männern ist mir auch aufgefallen. Als wären nur wir Frauen mit Schönheitsidealen der Gesellschaft konfrontiert, die uns einreden, wir seien nicht schön genug. Vielleicht wollten aber auch Frauen nicht über Männerthemen reden. Andererseits muss ich natürlich sagen, wenn ich nach den Wechseljahren so aussehe wie Frauke, dann hab ich aber echt einiges richtig gut gemacht. Also, authentisch bringen die Frauen auf der Leinwand die Verunsicherung und den Struggle mit dem Körper schon rüber. Im Sessel sitzend sagt man sich aber auch: Jammern auf hohem Niveau.

Mehr Wunder als wunderschön (unrealistische Film-Momente)

Beginn, erste Szene mit Nora Tschirner: Mann, der nach dem One-Night-Stand frischen O-Saft presst – und Vicky schleicht sich lieber halbnackt in den Flur, als nochmal ein Gespräch zu riskieren.

Lynn: Also mal abgesehen davon, dass ich noch nie so einen Jackpot One-Night-Stand hatte, der vor mir aufwacht und dann auch noch geiles Frühstück macht. Ich für meinen Teil gehe direkt nach der Nummer oder will bewusst über Nacht bleiben. Einfach rausschleichen, während der andere mir Frühstück macht? Unnötig unreif.

Kitteh: Mir hat noch nie ein Mann Orangensaft gepresst. Außer er wurde in einem Hotel dafür bezahlt. Ich glaube nicht, dass es sowas abseits von Brotaufstrich-Werbespots überhaupt gibt.

Lehrerin schläft im Unterricht ein: Auch das ist Vicky. Während sie in anderen Lehrerszenen einen überirdisch guten Job macht (ehrlich, uns allen hätte so ne Lehrerin auch mal echt gut getan), ist sie dann in dieser Szene alles andere als mustergültig. Ebenso wenig wie beim Rumknutschen auf dem Sportfeld während dem Unterricht.

Kitteh: Klar, hier will der Film witzig und überspitzt sein. Aber ich glaube das Berufsbild Lehrer:in gibt das auch ganz viel realistische Vorlagen zum Schmunzeln.

Lynn: Vicky hat ganz tolle und inspirierende Momente als Lehrerin gehabt. Aber ja, das zum Teil nicht gerügt wird, was die Schüler so treiben oder sie einfach bei einem Referat einpennt – unnötig.

Vicky und Sonja sind beste Freundinnen. Trotzdem sprechen sie in den einzigen zwei Szenen, die sie zu zweit haben, sehr angreifend und wenig achtsam miteinander. Da gibt es ungefragte Lebensratschläge, die Werte der einen werden von der anderen komplett für nichtig erklärt and so on…

Kitteh: Wenn ich so mit meiner besten Freundin reden würde, hätte ich längst keine mehr. Ich bin manchmal zwar selbst ein Paradebeispiel für die Abwesenheit von Feingefühl, aber bis heute habe ich noch keine Freundin lauthals in einem DM-Markt über die Gründe für ihr inaktives Sexleben informiert.

Lynn: Mich nervt hier auch die fehlende Empathie. Wer redet so mit seiner Freundin? Allerdings schenken sich hier beide nichts.

Natürlich feiern am Ende alle Charaktere, die irgendwie ja doch auf noch so ungewöhnliche Art und Weise miteinander verbunden sein müssen, zusammen nach dem Nervenzusammenbruch einer Darstellerin eine riesige Gartenparty.

Lynn: Als ob! Im Traum ist das letzte, was ich nach Nervenzusammenbruch und Klinikaufenthalt will, eine Gartenparty mit der ganzen Familie und deren Freunden, Nachbarn oder bekannten. Mag ja ein schönes Happy End sein, aber halt wirklich so Seifenblasen-Kitsch-triefend, dass es halt offensichtlich nicht echt sein kann. Schade Schokolade.

Nicht so schön (kritik)

Die Frauen, die dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen zu scheinen, sind nicht alle glücklich, für diese Quote sorgt allein schon Julie. Umgekehrt fällt auf, dass alle „unschönen“ Frauen, die wir im Laufe der Handlung kennenlernen aber alle durch die Bank weg unglücklich sind. Wieso wird keine Frau gezeigt, die einfach nicht perfekt ist, aber im Film trotzdem keine dramatische Rolle mit Problemen hat? Genauso wenig existieren auf der Leinwand anscheinend Freundschaften zwischen den „Unperfekten“ und den Makellosen. Vielmehr werden sie in ein gegenseitiges Konkurrenzverhältnis gesetzt.

Lynn: Ich hätte es halt auch schön gefunden, wenn eine dieser unperfekten Frauen trotzdem ein gutes Selbstbild hat. Besonders Frauke finde ich für ihr Alter und mit zwei erwachsenen Kindern wirklich attraktiv.

Kitteh: Mich nervt das auch. Die Schönen sind entweder Zicken, mache die anderen runter oder es ist (wie bei Julie) irgendwas im Busch. Wieso kann eine Person, die augenscheinlich attraktiv ist, nicht mit Attributen wie emphatisch oder liebevoll besetzt werden? Genauso eine selbst erfüllende Prophezeiung ist es, wenn in den Medien die “Mutter” immer als versagensgeängstigt und unzufrieden mit ihrem Körper gezeigt wird.

Wunderschön bist du als Frau, wenn ein Mann das auch findet

Kitteh: Lässt man den Film revué passieren, validiert am Ende doch immer ein Mann die Schönheit. Sei es des feurige Tango-Lehrer, der die Lebensgeister in Frauke weckt oder der coole Baseball-Junge, der mit der dicken Leyla knutscht. Hätte die Selbstreflexion und die Erfahrung, die so schön im Laufe der Szenen gesammelt wurde denn nicht gereicht? Sogar Vicky, die ja gar kein Problem mit ihrem Körper hat, muss sich zum Ende des Films bitteschön verlieben. Ihr Lebensmodell von Unabhängigkeit und One-Night-Stands ist so wohl nicht akzeptabel. Auch bei Sonja, die sich ja eigentlich durch Karriere-Chance und ihre zwei süßen Kinder schon besser in ihrer Haut fühlen könnte, wird noch ein bisschen Sex eingespielt. Damit auch die letzten Zuschauer ganz hinten verstehen, dass die Mutti begehrenswert ist.

Lynn: Cool wäre auch gewesen, wenn nicht alle in einem heteronormativen Beziehungsmodell gewesen wären. Warum nicht auch ein lesbisches Pärchen, wenn es schon nur um Frauen geht? Aber gut, man will halt die (vermeintliche) Mehrheit der Gesellschaft abbilden, vermute ich. Das Vicky natürlich von ihrem Emanzen-Feminismus-Single-Leben Abstand nehmen muss, war für mich eher störend als positiv.

Das war wirklich wunderschön (positive Kritik)

Kitteh: Leyla entscheidet sich von selbst dazu Baseball zu spielen. Das zeigt, dass nur intrinsische Motivation uns wirklich helfen kann sich selbst zu akzeptieren. Wäre dieser Anstoß von außen gekommen, zum Beispiel durch eine Mutter, hätte das Ergebnis sicher ganz anders ausgesehen.

Lynn: Ich fand auch toll, wie viel selbstbewusstsein Leyla durch den Sport entwickelt hat. Und natürlich durch den Freund, der echt ein netter junge war, wenn auch unnötig. Bemerkenswert war auch, dass sie nicht einen Sport gesucht hat, um abzunehmen, sondern weil Baseball ihre Leidenschaft ist. Also nicht dieses “Du müsst dünn sein, um geliebt zu werden.” Der Charakter Leyla hat mir eh besonders gut gefallen.

Kitteh: Außerdem zeigt “Wunderschön” wirklich wunderschön, wie Kinder uns dabei helfen uns selbst wieder als ganze Menschen zu sehen. Nicht reduziert auf die äußere Hülle. Die Interaktion zwischen Model Julie und ihrem Nachbarmädchen ist herzergreifend, dabei trotzdem authentisch. Diesen Mehrwert der Beschäftigung mit Kindern kann man wohl nur nachvollziehen, wenn man selbst welche (um sich) hat. Die kleine Nachbarin sieht Julie nicht als koksenden Kleiderhaken, sondern als das, was sie wirklich ist. Ein müdes, einsames Mädchen in einer zugegeben unrealistischen großen und stylishen Altbauwohnung.

Lynn: Als Mutter hat auch Sonja ihren Aha-Moment durch ihr Kind. Denn Sonja ist frustriert, genervt, gelangweilt, weil dieses ewige nur Mutter sein auch tatsächlich einfach unfassbar anstrengend und kräftezehrend sein kann. Doch dann hat sie wieder eine Arbeit. Endlich einen anderen Fokus außer Milchbar und Putzfrau. Denn so kann man sich schon schnell mal fühlen, wenn man rund um die Uhr nichts anderes tut. Doch beschäftigt man sich auch anderweitig, dann tun sich die kleinen wundervollen Momente, die uns nur Kinder schenken, auf einmal wieder leuchtend positiv hervor. Der neid- und liebevolle Blick auf Ehemann Milan, der beim zu Bett bringen mit den Kindern kuschelnd einschläft. Der süße Pete, der Mamas Bauch wieder heile machen will. Wie er Sonja damit vor Augen führt, dass ihr Körper zwar gelitten hat, aber welche Wunder sie dafür bekommen hat. Als Pete seine Mama fragt: “Hab ich dich so kaputt gemacht?”, laufen dann die Tränen. “Nein Schatz, du hast alles besser gemacht, du bist das beste auf der Welt (und natürlich die kleine Schwester auch).” Ja, da rückt sich der Fokus auf einmal wieder zurecht.

Unser Fazit zu Wunderschön

Lynn: Ich fand den Film unterhaltsam. Er hatte mehr Tiefe und mehr Momente, die zum Nachdenken angeregt haben, als ich erwartet hatte. Das er so typisch vorhersehbar und die Klischees so typisch abgedroschen sind, war irgendwie eine erwartungsgemäße deutsche Produktion… Wer das mag, gepaart mit mehr Tiefgang, der wird “Wunderschön” lieben. Aber so einige Momente kann ziemlich sicher jede:r mitnehmen. Persönlich würde ich mir wünschen, dass auch ein paar Papas den Film schauen. Denn die Paarsituation der Eltern kam mir so bekannt vor. Von außen betrachtet ist das vielleicht einfach mal gut zu sehen.

Kitteh: Was soll ich sagen, schaut euch mein Bücherregal an. Da stehen nicht nur die bekannten 50 Nuancen, sondern auch Bücher mit Brigitte-Emblem und Titel wie “Zusammen ist man weniger allein”. Ich brauche hin und wieder ein bisschen Kitsch zwischen Thriller und BDSM. So geht es mir auch im Kino. Ich gehe nicht in einen deutschen Film namens “Wunderschön”, weil ich am Ende unfassbar bewegt und verblüfft sein will. Ich möchte mit Mehrwert unterhalten werden. Das ist Karoline Herford gelungen.

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