Ihr glaubt ja gar nicht, wie lange dieser Artikel schon auf meinem To-Do Stapel liegt. Das hat mehrere Gründe. Zum Einen, dass das Thema als solches schwierig ist. Es bietet viel Potenzial Menschen zu triggern, Angriffsfläche, wenn man sich dazu “falsch” äußert und so weiter. Das sind aber nicht die einzigen Gründe, sondern auch: An welchem Beispiel kann man denn überhaupt was sagen? Die wenigsten Opfer häuslicher Gewalt, unabhängig von ihrem Geschlecht, reißen die Tür auf und sagen: “Ja, ich kann dazu was sagen!” In diesem Sinne. Trigger-Warnung: Häusliche Gewalt, emotionaler Missbrauch.

Ich hätte es mir nicht ausgemalt, dass ich mal über Johnny Depp schreiben würde – und schon gar nicht bei so einem traurigen Thema. Also, in diesem Artikel geht es ganz generell um häusliche Gewalt, die an Männern geschieht. Ich beziehe mich hin und wieder, um dem ganzen ein Beispiel zu geben, auf die aktuellen Informationen (die uns allen von diversen Zeitungen, Fernsehsendungen, Social-Media Kanälen und der Klatschpresse angeboten werden) der ehemaligen Beziehung zwischen Johnny Depp und Amber Heard.

Ich mache das, um euch zu zeigen, wie häusliche Gewalt an Männern aussieht. Damit ihr vielleicht sensibler darauf achten und Zeichen erkennen könnt. Ich mache das um Männern zu zeigen, dass sie nicht alleine sind und dass sie sich nicht schämen müssen oder selbst schuld sind.

Was ist häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt ist körperlichesexuellepsychische und 
wirtschaftliche Gewalt bzw. Gewalttaten zwischen Menschen, die in einem Haushalt zusammen leben.

Wikipedia

Das deutsche Ärzteblatt zeigt in seinem Artikel von März 2017 bereits, dass mehr Männer Opfer häuslicher Gewalt werden, als vielleicht in den Köpfen der Gesellschaft ankommt: Mindestens eine Million Männer in Deutschland erleiden regelmäßig häusliche Gewalt durch ihre Partnerin, so die Fachzeitschrift.

Bild: Pexels

Männer sind in unserer Gesellschaft massiv benachteiligt, wenn es um Hilfe bei häuslicher Gewalt geht. Es gibt nicht mal einen Bruchteil der entsprechenden Institutionen wie zum Schutz für Frauen. Die ganze Infrastruktur für männliche Opfer ist lachhaft. Hier wird es Zeit, dass unsere Gesellschaft den Bedarf (an)erkennt.

Warum sind Männer bei häuslicher Gewalt benachteiligt?

Die Gründe, warum Männern nicht geglaubt wird Opfer zu sein, sind vielschichtig. Einerseits sind viele Männer den meisten Frauen körperlich überlegen. Das Rollenbild, dass der Mann sich schon wehren würde oder könnte, ist hier eine gängige Annahme. Doch hier befinden sich Männer gleich in mehreren Szenarios eines moralischen Dilemmas. Immerhin liebt man die Partnerin doch und möchte ihr nichts Schlechtes, weswegen geschwiegen wird. Frauen schlägt man nicht, auch so eine Grundregel, die Männern von Kindesbeinen an eingeimpft wird. Dann weiß ja der Mann, dass er theoretisch körperlich überlegen ist, was es noch schwerer macht, sich zu wehren. Bleiben an der Partnerin Spuren von wehrhaftem Verhalten, wird gerade mit narzisstischen Partnerinnen schnell ein Beweis daraus, dass doch die Frau diejenige wäre, die sich gewehrt habe.

Zu guter Letzt: Die Schamgrenze eines Mannes, zu sagen, “Meine Frau schlägt mich”, ist hoch. Sehr hoch sogar. Davon abgesehen ist häusliche Gewalt auch nicht immer gleichzusetzen mit körperlichen Übergriffen und Gewalt. Frauen leben ihre Aggressivität häufig anders aus, indem sie zum Beispiel sticheln, demütigen, erniedrigen, hetzen oder auch Gerüchte verbreiten. 

Zeichen häuslicher Gewalt – Verhaltensmuster von Täterinnen

Klassische Red Flags bei missbräuchlichen Beziehungen ähneln sich meistens. Egal, ob es dabei um Missbrauch, häusliche Gewalt oder eine toxische Beziehung geht – die Muster sind immer ähnlich. Für Missbrauch in jeglicher Form braucht es ein isoliertes, verletztes, gedemütigtes, schüchternes oder verängstigtes Opfer. Jemanden , der sich nicht in der Position sieht, eine Wahl oder eine Option zu haben. Jemanden, der denkt, man würde ihm ohnehin nicht glauben. Jemand, der keinen Sinn darin sieht, etwas zu sagen. Um dies zu erreichen, bedienen sich (fast) alle Narzisstinnen, Abuserinnen oder anderweitig missbräuchliche Personen ähnlicher Handlungsmuster.

  • Ein frühes Warnzeichen ist, wenn ein Part der Beziehung versucht, jemanden von Familie, Freunden, Arbeit oder Freizeitaktivitäten zu isolieren.
  • Wiederholtes Schwächen des Selbstbewusstseins des Partners durch abfällige Gemeinheiten, Sprüche, Blamage, Erniedrigung etc.
  • Die Täterin leugnet Dinge oder “gaslightet” (Gaslightning ist es, wenn man die Wahrnehmung der anderen Person destabilisiert. Das Opfer glaubt, es werde “verrückt”, hört regelmäßig, man sei selbst Schuld, habe sie zu diesem Verhalten getrieben)
  • Verharmlosen oder ignorieren der Bedürfnisse des Partners

Die Muster bei missbräuchlichem Verhalt sind bekannt: Es passiert eine “Kleinigkeit”, die Täterin entschuldigt sich, sie habe das nicht so gewollt, gerne auch kombiniert mit Emotionen: “Du machst mich so wütend, dass ich die Kontrolle verliere. Jetzt fühle ich mich schlecht. Bitte verzeih mir”. Alles scheint wieder gut, die erste Grenzüberschreitung scheint schon fast vergessen, da passiert es wieder. Vielleicht ein bisschen schlimmer. Die Spirale hat begonnen. Es kommt immer wieder wechselnd zu gemeinsten verbalen oder körperlichen Angriffen, gefolgt von Entschuldigungen, Beteuerungen, Liebe, Fürsorge oder Geschenken, nur um in Folge wieder etwas mehr zu Eskalieren. Und immer so weiter.

Vergleiche typisch häusliche Gewalt an Männern mit aktuellem Fall Depp/Heard

Es ist schon fast ein Lehrbuchfall, den die beiden Schauspieler da vor dem Gericht vortragen. Genau deswegen bietet es sich aber auch so als Erklärung an.

Beispiel 1 – Red Flag schon vor der Beziehung

Fangen wir ganz vorne an. Im Zeugenstand wurde Johnny Depp dazu befragt, wie er seine damals zukünftige Frau Amber Heard kennenlernte. Um das ganze abzukürzen: Sie kannten sich schon eine Zeit beruflich wegen den Dreharbeiten zu Rum Diaries, als Amber Heard eines Tages einfach mal eben so die Duschtür von Johnny aufriss und ihn küsste.

Klingt im ersten Moment für viele vermutlich nach nem sexy Traum, knapp 20 Jahre jüngere, schöne Frau macht die Duschtür auf und küsst dich. Vielleicht nicht so gut, dass sie es macht, obwohl sie mit einer Frau verheiratet ist und du mit einer Frau verheiratet bist und zwei Kinder hast.
Und wenn wir den ersten “Hm, sexy”-Moment dann verdaut haben, dann überlegen wir uns, wie krass das eigentlich ist.

Was wäre denn gewesen, wenn Johnny Depp in Ambers Zimmer gegangen und die Dusche aufgerissen hätte? Würde dann irgendwer sagen -Ja, hot! Oder wären alle wieder entsetzt? Das Image, dass jeder Mann immer Bock hat und es immer und uneingeschränkt total gut findet, wenn eine Frau ihn doch ENDLICH MAL SEXUALISIEREN WÜRDE hält sich hartnäckig und ist so gesehen leider ein Teil des Problems

Grundsätzlich ist nämlich ein solches Verhalten, ohne vorher Konsens herzustellen, übergriffig. Man kann jetzt wieder argumentieren mit dynamischer Einverständnis, im Sinne von “Hätte er nein gesagt, wäre es ja anders gewesen” und so weiter und was zwei Erwachsene machen und so weiter und sofort, ja. Aber allein die Situation für sich ist schon mal übergriffig. Das kann gut ausgehen, wenn beide sich vorher attraktiv finden. Es stellt aber auch frühzeitig dar, wie wenig achtsam die Person mit Grenzen umgeht oder sich Gedanken dazu macht.

Was du selbst in deiner Umgebung ändern kannst:

Wenn dein Kumpel dir etwas derartiges erzählt und du mit “WOW, geil, zwinkizwonki, Glückwunsch” reagierst, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass dein Freund dir vielleicht auch mal von Übergriffen in der Beziehung erzählen will wohl eher gering. Also wenn euer männlicher Freund euch mal sowas erzählt, dann fragt doch vielleicht eher erst mal – “Und – wie war das für dich?”, “War das Okay für dich?”, “Wolltest du das?” oder “Wie hast du dich gefühlt?”, bevor du ihm gratulierst und nen Drink ausgibst. Auch, wenn ihr im Rudel in einer Bar oder im Club unterwegs seit und ein Mann ständig angegraben oder angefasst wird – Jubel ihm nicht zu verdammt! Frag ob er das mag oder ergreife Partei für ihn. Wir müssen aufhören, so zu tun, als müsse sich der Mann über solche Übergriffe glücklich schätzen!

Beispiel 2 – häusliche Gewalt ist nicht nur körperlich

Eine Missbrauchsbeziehung geht nicht immer nur mit körperlicher Gewalt einher. Gerade Frauen missbrauchen den Partner häufig psychisch. Wenn eine Person das Selbstbewusstsein des Partners immer wieder erschüttert, sitzt das irgendwann auch tief beim Mann. Heard habe dies nicht nur einmal getan, soweit der Stand der Gerichtsverhandlungen bisher.

Laut Depps Bodyguard kam es bei Streitereien der beiden von Seiten Heards […] zu wüsten Beschimpfungen, teilweise soll Heard auch handgreiflich geworden sein. Auch weitere Demütigungen waren dabei: Unter anderem habe die Schauspielerin eine Dose nach ihrem Ex-Mann geworfen und ihn bespuckt. (Quelle: Spiegel)

Eine andere Zeugin sagte aus: […] dass Heard während einer Diskussion vor dem Haus gesagt habe: „Es tut mir leid, bitte komm zurück ins Haus“. […]Johnny dann in ein Fahrzeug stieg. Jedoch stellte sich Heard vor den Wagen […] und schließlich kehrten die beiden ins Haus zurück. […] Sie erzählte dem Gericht, dass Amber zu Johnny sagte: „Du bist ein abgehalfterter Schauspieler. Du wirst als fetter, einsamer alter Mann sterben.“ Darauf habe Depp geantwortet: „Du hast mich mit einer Dose geschlagen.“

Beispiel 3 – Gaslighting, Täter-Opfer-Umkehr und Manipulation

Das Gaslighting, also der Versuch, die Wahrnehmung zu verzerren oder dem Partner das Gefühl zu geben, er sei Schuld an der Eskalation, ist ein gängiges Mittel bei häuslicher Gewalt. Die Täterinnen nutzen es, um ihre Partner davon zu überzeugen, sie seien “verrückt“, so dass sie an ihrer eigenen Wahrnehmung der Beziehung zweifeln. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die körperliche Unterlegenheit anführen. Es besteht die Annahme, dass selbst wenn die Frau den Mann schlägt, sie ihm ja doch nicht wirklich weh tun könne oder nicht so gefährlich sei. Auch dieser Masche bedient sich Amber Heard, mit Hilfe ihrer Psychologin, im Gericht:

Die Psychologin Hughes gab an, Heard habe Depp geschubst und beleidigt, sie sei ihm aber körperlich unterlegen, mithin sei ihre Aggression nicht mit der des Ex-Manns zu vergleichen.

Spiegel

Rachel Goldsmith, Vice President für den Opferschutz bei Safe Horizon sagt: „Viele glauben, dass man, wenn man nicht körperlich misshandelt wurde, kein Opfer von häuslicher Gewalt ist“. Oder, dass es sich bei häuslicher Gewalt im Grunde immer um ein Macht- und Kontrollmuster, welches eine Person in der Beziehung über die andere ausübt, handelt. „Die Täter:innen versuchen, auf unterschiedliche Art Macht oder Kontrolle über ihre Opfer zu erlangen – und die müssen nicht zwangsläufig physischer Natur sein.

Zum Thema Manipulation möchte ich noch ein Beispiel angeben, dass aus dem aktuellen Gerichtsprozess an die Öffentlichkeit gelangte: Es handelt sich um eine Tonaufnahme von Amber Heard, die darauf schließen lässt, dass sie sehr genau weiß, wie die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist und was sie tut.
Sie sagt:

„Sag es der Welt Johnny, sag ihnen, Johnny Depp, ich Johnny Depp, ein Mann, bin auch ein Opfer häuslicher Gewalt“ Und: “Du weißt, es ist ein fairer Kampf. Und dann sieh, wie viele Menschen dir glauben oder auf deiner Seite stehen.“ 

Es gebe da einen “großen körperlichen Unterschied” zwischen ihr und Depp und die ganze Welt, Richter und Geschworene würden das sehen und keiner würde ihm glauben.

Beispiel 4 – Körperliche häusliche Gewalt

Depp hatte unter Eid erklärt, Heard niemals geschlagen zu haben. Während einer heftigen Auseinandersetzung soll diese aber Depp mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben, sagte sein Bodyguard aus. Geschlagen habe Depp seine Ex-Frau allerdings nie, sagt McGivern. Wiederholt war auch die abgeschnittene Fingerkuppe des Schauspielers Thema. Er sagt, Amber Heard habe sie ihm abgetrennt, als sie mit einer Wodka-Flasche auf ihn einschlug. (Quelle: Stern).

Laut Polizeistatistiken greifen Täterinnen übrigens häufig zu “Waffen”, heißt: Während bei häuslicher Gewalt, die durch einen Mann an einer Frau verübt wird, meist die bloßen Hände verwendet werden, setzten Frauen bei körperlicher Misshandlung auf Flaschen, Nudelholz, Kochlöffel, umgestoßene Leitern und so weiter. Die körperliche Unterlegenheit wird also ausgeglichen und mit dem “richtigen” Werkzeug ist jeder Mensch in der Lage, einem anderen weh zu tun.

Beispiel 5 – Stimmungsschwankungen, Dr. Jackyll und Miss Hyde

Täterinnen häuslicher Gewalt legen oft ein sehr widersprüchliches Verhalten an den Tag. Das Opfer, ohnehin schon verunsichert von der eigenen Wahrnehmung und den eigenen Gefühlen, weiß teilweise überhaupt nicht mehr, was auf ihn zukommt und bewegt sich in ständiger Hab-acht-Stellung. Dieses wechselhafte auf und ab ist sehr typisch und wird auch in der sogenannten “Traumabindung” beschrieben.

Auch hierzu passen die Aussagen von Johnny Depp bezüglich seiner Ex: Vor Gericht sagte Depp über Amber Heard, […]”Sie explodiert aus dem Nichts”. Vor Gericht nannte er Beispiele für ihre Attacken: “Es konnte mit einer Ohrfeige beginnen. Es konnte mit einem Schubser beginnen. Es konnte damit beginnen, mir eine TV-Fernbedienung an den Kopf zu werfen. Es konnte damit beginnen, mir ein Glas Wein ins Gesicht zu schütten.”

Reaktion und Hilfemöglichkeit:

Wenn du in deinem Bekanntenkreis feststellst, dass ein Partner immer wieder abwertende Kommentare  ertragen muss, ist das ein ziemlich eindeutiges Zeichen für missbräuchliches Verhalten. Stelle dich an die Seite der Person, widersprich, dokumentiere wenn möglich Situationen für gegebenenfalls spätere Handhabe.

Bist du selbst betroffen, teile dich mit, erzähle von den Situationen und lass sie von deinen Freunden, Bekannten oder den Internetdudes auf Twitter bewerten – Ist das noch Spaß oder schon Demütigung und missbräuchlich? Das hilft dir, deine eigene Wahrnehmung zu schulen.

Körperliche Gewalt ist das deutlichste und sichtbarste Zeichen, dass jemand in einer missbräuchlichen Beziehung steckt. Bist du betroffen solltest du diese möglichst genau dokumentieren, um später Beweise zu haben. Vertraue dich einer Person oder einem Arzt an. Notiere Datum und Zeit der Übergriffe, auch was passiert ist möglichst genau. Mache Fotos von den Verletzungen. All das hilft später, deine Glaubwürdigkeit zu untermauern.

Hilfetelefone

Hilfetelefon Gewalt an Männern: 0800 1239900/ beratung@maennerhilfetelefon.de
Das Hilfetelefon bietet Männern, die Gewalt erlebt haben, Beratung und Hilfe an.

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016
Kinder und Jugendtelefon Nummer gegen Kummer: 08000 116 111
Weisser Ring Opfer-Telefon: 116 006
Der Weisse Ring ist eine Hilfsorganisation für Menschen, die Opfer von Kriminalität geworden sind und bietet Hilfe vor Ort, Online-Beratung und das Opfer-Telefon an.

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