Auf Twitter wurde ich gefragt, wie sich mein Borderline (Borderline-Persönlichkeitsstörung, kurz BPS) auswirkt und auch, ob ich geeignet bin, damit zu führen. Ich kann diese Unsicherheit verstehen, weil ich sehr genau weiß, WAS man im BDSM alles erleben kann auf der negativen Seite. Ich wollte eigentlich einen Thread dazu schreiben, allerdings bietet mir der Blog die Möglichkeit, mehr Worte zu finden. Das Thema ist einfach zu wichtig und nicht so leicht in wenige Worte zu packen.
Vorweg: Ich berichte hier von MEINEM Weg mit FemDom und Borderline zurechtzukommen. Ich befinde mich bereits lange in begleitender Therapie, habe viele Fehlschläge erlebt und musste auch erst einmal wissen, was überhaupt mit mir los ist. Es spielen viele Faktoren mit rein, die eigene Persönlichkeit, die Selbstreflexionsmöglichkeiten, Freunde, Familie, alles, was in irgendeiner Art und Weise die Instabilität stabilisiert oder auffängt. Das ist KEINE allgemeingültige Fassung für den Umgang mit Borderline und ich empfehle JEDEM Menschen, sich professionelle Hilfe dabei zu holen, sich selbst besser kennenlernen zu können. Gleichzeitig empfehle ich auch JEDEM, sich über verschiedene psychische Krankheiten zu informieren. Nicht nur, um andere Menschen besser verstehen zu können, sondern auch, um das Stigmata von psychischen Krankheiten in der Gesellschaft zu ändern. Dieser Artikel ersetzt keine psychotherapeutische Hilfe und ist lediglich meine eigene Ansicht und Meinung.
Borderline – Was ist das eigentlich?
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung hat die wohlklingende ICD-Index-Nummer F60.31 und nennt sich ganz korrekt „Emotionale instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typ“. Ich zitiere an dieser Stelle schlauere Menschen aka Wikipedia:
„Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs ist eine psychische Erkrankung. Typisch für sie sind Impulsivität, instabile aber intensive zwischenmenschliche Beziehungen, rasche Stimmungswechsel und ein schwankendes Selbstbild aufgrund von gestörter Selbstwahrnehmung. Hinzu kommen oft selbstschädigendes Verhalten, Gefühle innerer Leere, Dissoziationserlebnisse und Angst vor dem Verlassenwerden.“
Wie bei allen psychischen Erkrankungen gibt es verschiedene Abstufungen und Färbungen der einzelnen Bereiche. Viele Menschen, die von Borderline hören, haben automatisch das Bild von sich ritzenden Teenagern im Kopf. Ja, selbstverletzendes Verhalten KANN ein Teil von Borderline sein.
Aber:
Nicht jeder, der sich selbst verletzt, ist Borderliner. Nicht jeder, der Borderliner ist, verletzt sich selbst.
Es gibt verschiedene Testverfahren, mit denen man testen kann, ob jemand in Richtung einer BPS tendiert. Von den 9 möglichen Kriterien (nach DSM-IV) muss man mindestens 5 erfüllen, um eine BPS diagnostiziert zu bekommen.
- Verzweifeltes Bemühen, reales oder imaginäres Alleinsein zu verhindern.
- Ein Muster von instabilen und intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen.
- Identitätsstörungen: Eine ausgeprägte Instabilität des Selbstbildes oder des Gefühls für sich selbst.
- Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstbeschädigenden Bereichen (z.B. Geldausgeben, Sex, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle).
- Wiederkehrende Suiziddrohungen, -andeutungen oder –versuche oder selbstschädigendes Verhalten.
- Affektive Instabilität, die durch eine ausgeprägte Orientierung an der aktuellen Stimmung gekennzeichnet ist (z.B. starke episodische Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit oder Angst).
- Chronisches Gefühl der Leere.
- Unangemessen starke Wut oder Schwierigkeiten, Wut oder Ärger zu kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche, andauernder Ärger, wiederholte Prügeleien).
- Vorübergehende stressabhängige paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.
Das nur der Vollständigkeit halber. Bei mir ist es zum Beispiel so, dass sich mein selbstverletzendes Verhalten (SVV) vor allem in Beziehung zu anderen Menschen zeigt. Ich verletze mich also nicht körperlich, sondern seelisch.
Der viel größere Teil der BPS bei mir nimmt die emotionale Instabilität ein. Und an dieser Stelle darf ich sagen: Ich habe wirklich die Arschkarte gezogen, denn ich bin nicht nur Borderliner, sondern auch noch HSP (Highly Sensitive Person). Wuhu, Yeah, Party.
Borderline und HSP
Noch mal: Das hier ist MEINE Ausprägung, meine Ansicht, meine Reflexion. Es kann bei jemand anderen ganz anders sein.
Wie spielt das nun alles zusammen? Als HSP nehme ich Gefühle sehr deutlich wahr. Ich bin empathisch, ich kann zwischen den Zeilen lesen und mich gut in andere Menschen einfühlen. Das sind alles Eigenschaften, die ich sehr schätze, weil sie es mir ermöglichen, mich auf viele verschiedene Menschen einzulassen und ihnen manchmal sogar ein bisschen helfen zu können, weil sie sich gefühlt fühlen. Die Schattenseite dessen ist: Ich nehme Gefühle sehr deutlich wahr, kann mich nur schwer gegen fremde Gefühle abschotten, leide wie ein Hund bei anderen Leuten mit. Ich kann in einem Raum voller Menschen sein, in mein Handy vertieft sein und bekomme dennoch ALLES mit. Mein Unterbewusstsein arbeitet ständig. Ich merke mir Worte, vor allem solche, die mit Emotionen bei mir verknüpft werden. Ich bekomme Dinge mit, die andere Leute nicht einmal bemerken. Das führt dazu, dass mir manchmal alles zu viel wird. Ich ertrage beispielsweise keine Musik nebenbei, ich fühle mich in absoluter Stille am Wohlsten. In sozialen Situationen, besonders mit vielen Eindrücken, bekomme ich irgendwann Kopfschmerzen und der Kopf macht dicht – dann ziehe ich mich zurück.
Nun ist es natürlich ganz, ganz wunderbar, wenn man dazu noch Borderliner ist und jede Emotion doppelt und dreifach spürt. Ich bin traurig? Holy Shit, die Welt ist verloren. Ich bin wütend? Komm mir nicht in die Quere. Ich bin fröhlich? Lass uns tanzen! Es ist häufig ein Tanz zwischen Extremen und ohne die therapeutische Hilfe, die ich in meinem Leben schon öfter in Anspruch genommen habe, könnte ich dieses heftige Pendeln nicht kontrollieren.
Was hat das mit FemDom zu tun?
Im Grunde genommen: Nichts. Und Alles. Meine Dominanz ist ein Teil meiner Persönlichkeit, sie macht mich aus, du kannst sie spüren, wenn du mich triffst und zwar unabhängig davon, ob wir uns in einem BDSM Kontext treffen oder nicht. Sie ist nicht an meine emotionale Verfassung geknüpft. Zumindest nicht ganz. Denn: Es ist völlig egal, ob ich eine psychische Krankheit habe oder nicht. Wichtig ist, dass ich mit meinem Spielpartner darüber rede. Reden und Kommunikation ist das aller-aller-aller-aller-Wichtigste, was es im BDSM zu beachten gibt. Damit meine ich nicht die „ich bin so erfahren, du kannst mir ruhig vertrauen“-Kommunikation, sondern eine WIRKLICHE Kommunikation auf Augenhöhe. WER ist der Mensch, mit dem man spielt? WIE interagiert er/sie? WAS erzählt er/sie über sich und, vor allem, was nicht?
Meine Spielpartner wissen über meine Krankheiten Bescheid. Sie wissen auch, dass es Phasen gibt, in denen ich nicht antworte, in denen mir alles zu viel wird und lassen mich dann auch einfach in Ruhe – weil sie Vertrauen in das haben, was wir VORHER kommuniziert haben. Anyway … mir ist es auch schon bei potentiellen Spielpartnern passiert, dass ich mich nicht gemeldet habe und DANN habe ich mich nicht mehr gemeldet, aus Angst, dass man mich nicht mehr will, WEIL ich mich nicht mehr melde. Teufelskreis, nicht wahr?
Also:
KOMMUNIKATION ist das A und O in JEDER Beziehung, ob BDSM oder nicht, ob psychische Erkrankung oder nicht.
Hört auf euer Bauchgefühl. Fragt lieber einmal zu viel als einmal zu wenig etwas.
Und: SPIELT NICHT, WENN ES EUCH NICHT GUT GEHT!! Weder Sub noch Dom, weder Mann noch Frau noch Divers. Nein. Einfach nein. Man kann eine Stimmung nicht durch ein Spiel kompensieren, im allerschlimmsten Fall wird man dadurch nämlich noch mehr getriggert und sucht das Extreme, ohne noch einen klaren Blick zu haben.
Habt‘s fein!
Hallo liebe Zaxi ich finde deine Profile hier und bei Twitter sehr interessant. Besonders mag ich den Käfig auf Twitter(würde gerne dort weitere Aufgaben für sie erledigen). Nun zum Thema ich habe auch psychische Probleme, sprich Depressionen und Angstzustände. Auch meine Spielpartner ist betroffen. Sie ist manisch depressiv und momentan in stationärer Behandlung. Es hilft zu hören das man nicht der einzige mit solchen Dingen ist. Danke hierfür. Haben sie Erfahrungen mit Klinken oder Tageskliniken? Würde mich sehr über eine Antwort freuen?Lg markus
Hallo Markus,
lieben Dank für deinen Kommentar und das Lob.
Ja, ich war letztes Jahr auch in einer Tagesklinik. Es hat mir sehr geholfen, weil ich dort Gelegenheit hatte, einfach mal abzuschalten, ohne mir Gedanken darüber zu machen, was jetzt gerade alles ansteht.
Liebe Grüße
Zaxi
Hab vielen Dank für deine Perspektive. Sie inspiriert und ermutigt, weiter auf den Findungsweg zum Selbst zu Bleiben auch wenn er einen fast vergessenen Trampelpfad gleicht.
Grüße aus Dresden,
Jessi