TikTok ist ein dunkler Ort. Aufgewachsen in meiner kuscheligen happy beppy Instagram-Bubble, in der sich höchsten mal ein paar Perversos unangenehm zu Wort melden, erlebe ich auf TikTok mein Waterloo. Warum? Neben charmanten Aufklärungsvideos sind witzige, sarkastische Videos mit delikaten Anspielungen auf meinem TikTok Account zu finden. Aber vor allem wenn ich das Thema Beziehung – insbesondere das Feiern gehen als vergebene Person – , aufnehme, entfacht eine wütende Meute ihre Brennfackeln in den Kommentaren.

Ein Video, dass hierzu anscheinen besonders einlädt, zeigt mich, charmant frohlockend, mit den Worten: „Wenn mein Freund mir viel Spaß beim Feiern wünscht, kein einziges Mal fragt, wann ich heim komme und uns am nächsten Tag Hangover ChickiNuggies holt.“ Während der/die Zuschauer:in mitliest, läuft im Hintergrund ein eindeutig zweideutiger Song. Dieses kurze Video hat über 80-tausend Aufrufe und damit 10 mal mehr als mein Hintern in einem Wirlpool. Unglaublich.

Vergeben im Club: An den Pranger mit ihr!

Warum sich viele Menschen über meinen Clip zu echauffieren scheinen, ist die Tatsache, dass ich als vergebene Frau feiern gehe. Ohne dabei permanent an meinem Handy zu hängen oder gegenüber meinem/meiner Partner:in fiktive Ausgangssperren einhalten zu müssen. Kommentare lauten in etwa:

  • „Warum geht man überhaupt als vergebene Frau feiern?“
  • „Wer so eine Freundin hat teilt sie jedes Wochenende!!“
  • “Nutte.“
  • „Du bist deinem Mann halt einfach egal.“
  • „Selbst schuld, wenn er dir fremdgeht.“

Ein User hat sogar einen Stich meines Clips gemach, also ihn auf seinem Account abgespielt und ein ganzes Video darüber gemacht, wie (Zitat) abstoßend ich wirke. (Video wurde inzwischen entfernt.)

Du bist in einer Beziehung, also verhalte dich auch so

Die Quintessenz aus diesem Potpourri anonymen Hasses ist der Vorwurf: Man darf sich in einer Beziehung eben nicht verhalten, als wäre man Single. Man habe darüber hinaus nur als Single einen Grund Clubs und Partys zu besuchen. Hierzu möchte ich drei Dinge anmerken:

Erstens: Ich finde definitiv auch, dass man sich als klassisch vergebene Person anders benehmen sollte als ein Single. Beispielsweise, indem ich mich monogam verhalte. Als Single kann ich am Ende einer Club-Nacht ins Bett steigen zu wem ich will. Bin ich in einer Beziehung, verschwende ich keinen Gedanken an die potenzielle Auswahl und lege mich zu meinem/meiner Partner:in.

Zweites: Kann ich das oben genannte Verhalten auch unter Einfluss von Alkohol zuverlässig differenzieren? Dann sehe ich persönlich keinen Grund dagegen nicht auch als Single eine Disco zu betreten. Es geht in diesen Etablissements auch – aber eben nicht ausschließlich darum – sich gegenseitig seine Geschlechtsteile vorzustellen. Es geht genauso ums Trinken, Gesellschaft, Tanzen, Dopamin, Loslassen, Freundschaften und Musik. (Wow, ich habe Trinken zuerst genannt. Klasse, Kitteh, toller Eindruck…).

Und drittens: Stellt euch vor, ich wäre der glücklich vergebene Inkedboy_Marco089. Hin und wieder gehe ich mit meinen Jungs bisschen Shisha-Bar und danach mal schauen. Und es nervt einfach, wenn meine nervige Alte mich ständig zutextet und komplett Eifersucht schiebt, nur weil die Kellnerin ganz hübsch ist. Nachvollziehbar? Ja, ist das Patriachart meistens. Zumindest für die Bevorteilten.

Keine Beziehung ist wie die Andere

Nun glaube ich aber tatsächlich, dass diese ganze Debatte rund ums Feiern gehen nur die Spitze des Eisbergs ist. Für viele Menschen ist es innerhalb ihrer Beziehung wohl einfacher klar zu trennen: Es gab einst das Single-Ich. Ist man vergeben, so wird dieses komplett abgelegt, um in die neue Rolle innerhalb der Beziehung zu schlüpfen. Anders als die mistgabelschwingenden Kommentatoren unter meinem TikTok urteile ich nicht: Wenn das für euch fein ist, ist es fein. Viele Wege führen nach Rom und ich bin tolerant gegenüber jeglichen Beziehungs-Konstrukten, die konsensuell funktionieren. Wenn Denis und Dilara also sagen: Seit sie zusammen sind gehen sie nicht mehr einzeln feiern, obwohl sie das vorher gern getan haben, weil das für sie so gut funktioniert – Go for it!

Der Single ist tot, lang lebe der Single

Ich werde also dafür verurteilt, dass ich die Person, die ich vor meiner Beziehung war, nicht komplett vergesse. Weil ich mein altes Ich nicht in einem düsteren Schrank wegsperre, während mein neues Beziehungs-Ich weiterlebt. Und ich verlange das auch nicht von meinem/meiner Partner:in. Tatsächlich klingt das für mich auch paradox: Du hast Single-Kitteh kennengelernt und findest die Braut so supi, dass du dich in sie verliebt hast. Es wurden keine Mühen gescheut um diese Single-Frau rumzukriegen – Super Bruder! Als Belohnung bekommst du eine völlig ausgetauschte Person mit ganz neuen Werten und Interessen! Nämlich die Beziehungs-Version, die du gar nicht kennen gelernt hast. Jetzt bitte lieben und ehren, bis dass der Tod euch….Ne. Finde ich unrealistisch.

An dieser Stelle nehme ich gerne mal den Vorwurf auf, ich würde also alle Vorteile einer Beziehung genießen, aber zugleich keine meiner Single-Habits ablegen wollen. Erstmal, ja: Natürlich will ich alle Vorteile einer Beziehung! Wäre ja komisch, wenn nicht! Mir ist bewusst, dass ich nicht gleichzeitig single und vergeben sein kann.

Adjusting Singlehood

Aber anstatt mein Single-Ich zu begraben, lade ich es zu einem konstruktiven Gespräch ein und frage: So, Single-Kitteh. Wie machen wir das jetzt? Also rumflirten und allem hinterhergeiern, was einen 47er Oberarm oder gemachte Brüste hat können wir jetzt sein lassen, oder? Ja? Super! Dafür musst du auch keinen geistlosen Unterhaltungen und unkoordiniertes Fummeln über dich ergehen lassen! Du kannst gern weiter feiern gehen, aber merk dir deine Adresse und denk immer daran wo unser Herz und unser Hintern hingehört. Nein, wir müssen auch die kurzen Hot-Pants und die Push-ups nicht wegschmeißen, du siehst super darin aus! Das findet vor allem der/die Süße, die wir darin rumgekriegt haben. Lass ihn/sie das nicht vergessen. Und so weiter und so fort. Aus diesem Gespräch entsteht eine neue Kitteh-Hybridperson, die viele typische und erforderliche Eigenschaften von Single-Kitteh enthält, aber dabei eben monogam, loyal und glücklich sein kann.

Keine Beziehung ohne Kompromisse…

Das ist wie gesagt meine Natur und die ist sicher nicht auf jeden übertragbar. Vielleich habe ich auch einfach nur Glück aktuell einen Partner gefunden zu haben, der ähnliche Ansichten hat. (Wahrscheinlich nur ohne halb so viel darüber nachzudenken). Viele Menschen in meinem Umfeld gestalten ihre Beziehungen aber als eine Aneinanderreihung von Kompromissen. Sicher, Kompromisse gehören zu einer Beziehung, keine Frage! Wir haben zum Beispiel einen Fernseher im Schlafzimmer, obwohl ich dagegen war. Der wird aber ausgeschalten, wenn ich schlafen will. Tierdokus dürfen weiterhin leise auf dem Tablet geschaut werden. Politdiskussionen gegebenenfalls mit Airpods, ist tagesformabhängig. DAS sind Kompromisse, die ich bereit bin in meiner Beziehung einzugehen.

Eher nicht so meine Art von Kompromiss ist: Du darfst feiern gehen, aber nur wenn ich alle kenne, die dabei sind! Oder: Wenn ich keine beste Freundin habe, darfst du auch keinen besten Freund haben! Oder noch schlimmer: Ich höre mit dem Rauchen auf, dafür verkaufst du das Motorrad. Das sind keine Kompromisse, das ist Bullshit!

…aber bitte richtig.

Ein echter Kompromiss ist „eine von allen beteiligten Personen akzeptierte Lösung, zu der man durch gegenseitige Zugeständnisse gelangt.“ Zugeständnisse! Nicht Regulationen und Verbote. Wenn du also deine Beziehung schon auf ein Fundament aus Kompromissen stützen möchtest, dann mach es wenigstens richtig. Gestehe deinem/deiner Partner:in etwas zu und erhalte dafür eine Lösung, die für euch beide akzeptabel ist. Und zwar gleichermaßen. Denn viele Beziehungs-Kompromisse, die ich beobachte, sind oft für den/die eine etwas leichter einzugehen als für den/die andere. Beruft euch also bitte nicht darauf, wie wunderbar eure ganzen Verhandlungen zur partnerschaftlichen Gleichberechtigung beitragen, wenn es am Ende immer eine:r ist, der/die den Kompromiss verlangt. Während der/die Andere eigentlich nicht mal von selbst das zu lösende Problem wahrnimmt.

Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie kommentieren

Dieser Blog soll keine Hetze sein. Mir ist auch bewusst, dass die Menschen, die mir ihre ungefragte Meinung, ihre Unterstellungen oder Phrasen unter meine Videos rotzen, nicht wirklich dafür belangbar sind. Sie sehen schließlich nur einen kurzen Ausschnitt. Sie können sich ja nur vorstellen, wie ich, die Party-Hure, jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag sturzbesoffen durch die Clubs torkle, währen mein:e besorgt:e Partner:in zuhause sitzt. Sie können ja nur denken, dass ich meinem/meiner Partner:in scheißegal sein muss. Weil sie aus ihrer Beziehung eine sogenannte „gesunde Eifersucht“ kennen. Oder sich durch die Verlustangst des/der Partner:in begehrt fühlen. Sie wissen nicht, dass ich meinem/meiner Partner:in Aspirin und eine Flasche Wasser ans Bett stelle, bevor ich mich seelenruhig allein schlafen lege (ohne Tierdoku), während er/sie die Nacht zum Tag macht. Am nächsten Tag hole ICH dann auch gerne Geflügel-Presspappe.

Einblicke, die so tief sind, dass Menschen mich tatsächlich fundiert bewerten könnten, möchte ich auf Social Media gar nicht erst geben. Aus Selbstschutz. Denn auch wenn ihr mich für eine abgebrühte Bitch haltet, die ich definitiv auch bin, wenn es um übergriffige Anmachen oder den Austausch von Schimpfwörtern geht: Auch ich kann mich mal angegriffen, bloßgestellt und erniedrigt fühlen. Auch wenn es mehr über den/die Verursacher:in aussagt, als über mich. Das ist kein schönes Gefühl.

Leben und lieben lassen

Deswegen nehme ich selbst großen Abstand davon, andere auf Social Media ungefragt zu beurteilen. Die Ideologen und Werte innerhalb eurer Beziehung dürfen gerne ganz anders sein als die meinen. Macht doch eure Kompromisse um jeden Furz! Verzichtet doch für eure:n Partner:in auf etwas, wenn ihr euch damit wohl fühlt! Und meine Güte, dann bleibt doch Samstags zuhause, schaut Netflix. Vögelt euch dabei am besten das Hirn raus. Dann ist es auch nicht so voll in den Clubs. Und wir hätten ein paar in ihre Handybildschirme weinende Mädchen weniger auf unseren Frauentoiletten.

5 thoughts on “Beziehung – Eine Aneinanderreihung von Kompromissen?”

  1. Ein wichtiges Thema, welches mit viel Humor erläuterte wird. Persönlich kann ich der Autorin nur zustimmen. Dieses ständige Verurteilen von allem, was man selber anders machen würde, ist mühsam.

  2. Toller Artikel. Eine klitzekleine Sache eigentlich zu einem Nebenaspekt des Beitrags möchte ich aber dazu doch noch loswerden… ein Kompromiss erfordert meiner Meinung nach nicht, dass Vorteile und Nachteile für alle Parteien immer exakt gleich dosiert sind. Oft ist das auch gar nicht möglich, oft ist es themenabhängig für eine Seite leichter einen Schritt mehr auf den anderen zuzumachen als für die andere. Das sollte natürlich nicht bei jedem Kompromiss immer die gleiche Partei sein, aber eine die gesamte Komplexität umfassende exakte 50/50 Aufteilung ist da meiner Meinung nach ziemlich schwierig und auch nicht wirklich nötig. Wichtig bei einem Kompromiss ist ja am Ende nicht, wer wie viele Zugeständnisse bei einer Sache gemacht hat, wichtig ist, dass beide mit der Lösung wirklich gut zurecht kommen und das subjektive Gefühl haben, exakt so weit entgegengenommen zu sein, wie es eben nötig aber für sie selbst noch vertretbar war.

    Abseits davon… mehr als volle Zustimmung. Dieses Wechseln zwischen “Single- und Beziehungsmodus” ist schon seltsam, wenn man mal so ein bisschen drüber nachdenkt. Aber selbst wenn man das für sich als das Normalste der Welt ansieht… andere Personen, die daran eben kein Interesse haben, da solch einen Schalter umzulegen, anprangern zu wollen, ist halt einfach völlig daneben.

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